Die fiesen Streiche des Gehirns – Bedürfnisse durch Ohnmacht

Es gibt kein Körperteil, was mit Abstand so schlecht erforscht ist wie unser Gehirn. Klar, wir wissen schon eine Menge darüber und die Medizin und Psychologie konnte einigen Nutzen aus der Forschung ziehen. Doch um das Wunder unserer internen Schaltzentrale völlig zu verstehen, müssen wohl noch so einige Jahre ins Land ziehen.

Was uns besonders interessiert, ist das Empfinden von Glück und Befriedigung in einem sexuellen Kontext. Wieso hören wir immer wieder, dass Pornokonsumenten nicht mehr in der Lage sind, diese Empfindungen zu verspüren?Es sieht so aus, wenn eine Reihe von Belohnungsmechanismen (die beim Orgasmus in Kraft treten) nach dem Höhepunkt das Potenzial haben, um uns zu desensibilisieren. Das bedeutet, dass diese Mechanismen unser Vergnügungsempfinden zu einem gewissen Grad betäuben. Und diese Phase der Betäubung scheint zudem für einige Zeit bestehen zu bleiben.

Wenn die Glücksdosen leer sind

The couch potatoWas passiert also in unserem Gehirn, wenn wir das „Glück“ oder den schnellen Kick der Ejakulation zu oft aufsuchen? Die chemischen Prozesse sind sehr abstrakt, aber man kann es in vereinfachter Art und Weise trotzdem auf den Punkt bringen.

Denn zuerst einmal nimmt die Funktionstüchtigkeit der Androgen-Rezeptoren nach der Ejakulation gehörig ab. Sie brauchen danach bis zu sieben Tage, um sich wieder zu normalisieren. Das bedeutet, dass die Wirkung von Testosteron auf das Belohnungssystem dämpfend wirkt. Man könnte es folgendermaßen beschreiben: Die Ausschüttung der männlichen Hormone beim Sex verringert die Libido. Der Mann ist also danach weniger auf „Ausschau“ nach einer potenziellen Sexualpartnerin.

Dieser Mechanismus ist natürlich nicht so dramatisch. Er bewahrt uns davor, nicht wie besessen umher zu irren, um nach neuen Bettgeschichten zu suchen. Problematischer sind die körpereigenen Opioide, die während des „Geschlechtsakts“ ausgeschüttet werden und nicht mehr so verarbeitet werden können, dass in der Folgezeit sexuelle und auch generelle Lust in gesundem Maße auftreten können.

Der Dopamin-Spiegel sinkt und zeitgleich unser Wohlbefinden. In der Tat verändert sich das Gehirn während der Pornosucht. Es bedarf jetzt mehr Stimulation, um das gleiche Vergnügen wie bisher zu erfahren. Und manchmal ist es gar so, kein Ausmaß an Stimulation ausreicht, um uns wirklich so zu befriedigen, wie es früher der Fall war.

Die sinkende Lebensqualität

Was auch immer die genauen Mechanismen sind: ein Rückgang im Lustzentrum des Gehirns ist eine schlechte Nachricht für alle Liebhaber von Sex und Zärtlichkeit – und ebenso für alle, die nach einem glücklichen Leben streben. Zudem muss gesagt sein: nicht jeder erlebt den Erholungsprozess des Gehirns und seinen Neurochemikalien auf die exakt gleiche Weise – dank genetischer und geschlechtsspezifischer Unterschiede. Auch frühe sexuelle Erfahrungen, Traumata und generelle Angewohnheiten können ausschlaggebend sein, inwiefern sich das Gehirn nach dieser Geißelung während der Pornosucht wieder erholt.

Einige von uns sind jedenfalls einfach nicht an Sex interessiert, bis unser Gehirn wieder in sein natürliches Empfindungsvermögen gerät. In anderen von uns aber erwirkt der vorübergehende neurochemischen Einbruch bald das Gefühl, es fehle eine wesentliche Zutat für unser Glück. Vielleicht sind wir uns in diesen Moment nicht ganz im Klaren darüber, was es ist. Klar ist aber: Unsere ideale Sensibilität für Vergnügen fehlt und das Wohlbefinden ist stark beeinträchtigt.

Desensibilisierung macht Untreue noch verlockender

Die Suche nach neuen Reizen bewirkt einen Ansturm von belebendem Dopamin – und eine neue potenzielle Sexualpartnerin ist eine der spannendsten Formen von Reizen. Wenn man sich also während der Pornosucht in einer Beziehung befindet, kann dies besonders verheerend sein. Denn die Lust nach einem Abenteuer ist viel häufiger vorhanden: denn man will endlich wieder etwas empfinden. Und dafür müssen in der Zeit des desensibilisierten Zustands im Gehirn spezielle Wege gegangen werden.

Es können Arbeitskolleginnen sein, es kann diese eine Person im Online-Chatroom oder auch das Porno-Sternchen sein, die alle besser aussehen, wenn Ihr Gehirn betäubt ist. Und Sie werden nicht merken, dass eigentlich alles, was Sie wirklich suchen, ein „Dopamin-Fix“ ist.

Die Verlockung der neuen Reize für ein desensibilisiertes Gehirn ist heute besonders problematisch. Wir sind von einer unerschöpflichen Auswahl an verführerischen Dingen umgeben, auch wenn es sich oft um synthetische sexuelle Reize handelt. Bestes Beispiel ist dafür natürlich das massive Überangebot an Internet-Pornografie.

Wenn wir weiterhin unsere Genesung mit dem Medikament „Pornos“ behandeln, wird alles aber nur noch schlimmer. Beschwerden, die durch zu intensive Stimulation ausgelöst wurden, helfen unserem Gehirn logischerweise nicht dabei, wieder zu einem gesunden Maß zurückzukehren.

Die harte Zeit des Neustarts

Wie bereits erwähnt, wirken sich die leergepumpten Nervenzellen natürlich auf unser Wohlbefinden aus. Die daraus resultierende Angst motiviert uns stark, um nach Befreiung zu streben. Aufgrund dieses „Mini-Entzugs“ mit vermindertem Glücksempfinden werden wir ängstlich und emotional distanziert – und würden unsere Anspannung am liebsten mit einem anderen Orgasmus so schnell wie möglich auflösen. Manchmal sind wir auch einfach bedürftiger als sonst, verlangen zusätzliche Liebesbeweise unserer Partnerin oder Zuneigung von unseren Freunden. Strategien wie diese sind Versuche, um Gefühle des Wohlbefindens in einem gerade nur behäbig laufenden Belohnungssystem zu erzeugen.

Diese Zeit des Neustarts ist aber wichtig und wir müssen zeitweise nun mal in den sauren Apfel beißen, um wieder die süßen Früchte des Lebens naschen zu können. Denn die Zeit ohne Pornos ist lohnenswert und voller Genüsse, die wir schon wieder ganz vergessen haben.