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Mein langer Weg
#1
Hallo zusammen,

ich lese schon einige Zeit hier mit und will mich nun selbst beteiligen. Hier erzähle ich meine Geschichte. Es könnte länger werden, dafür schonmal sorry im Vorhinein.

Ich bin 25, angefangen mit Internetpornografie habe ich mit 11/12 Jahren ungefähr. Anfangs war das einfach nur Neugierde und Interesse, doch ziemlich schnell löste PMO einen Großteil meiner bisherigen Hobbies ab und wurde mein Mittel der Frustkompensation Nr. 1. Ungefähr in diesen Zeitraum (ich war 12, fast 13) fiel der Suizid meines Cousins. Dieser war damals 17 und für mich eher wie ein großer Bruder. Das war für die ganze Familie schlimm, aber im Rückblick betrachtet habe ich immer mehr das Gefühl, dass es für mich ein geradezu traumatisches Erlebnis war. Ich stand am Beginn der Pubertät, war dabei meinen Weg zu finden, hatte in meinem Cousin ein großes Vorbild und plötzlich war er nicht mehr da. Wie schlimm das für mich war, hat damals glaub ich niemand so richtig mitgekriegt. Ich war damals schon sehr gut darin, meine Gefühle zu kaschieren und habe mich mehr und mehr in mich und in mein Zimmer mit den Pornos zurückgezogen. Ich habe dann schon relativ bald (so mit 15/16) gemerkt, dass das nicht gesund sein kann. Schon damals (vor 10 Jahren!) habe ich regelmäßig versucht, aufzuhören, ohne Erfolg. Umfangreiche Informationsportale wie dieses hier gab es damals noch nicht und ich war auf mich allein gestellt. Zumal ja jeder Pornos geschaut hat, oder? Und ich mir deswegen dann doch wieder unsicher war, ob mein Konsum denn überhaupt problematisch ist. Aber natürlich war er es schon damals, und eigentlich wusste ich es ganz genau. Mit jemand drüber reden schien mir aber ausgeschlossen.

Zu ungefähr dieser Zeit bekam ich auch chronische Bauchschmerzen. Ich wurde auf alles mögliche untersucht, nichts wurde gefunden. Also war irgendwie schon klar, dass das psychosomatischer Natur sein musste, aber die Gründe kannte keiner. Ohne Schmerzen war ich nur, wenn ich z.B. auf Klassenfahrt war. Heute weiß ich: das lag vermutlich daran, dass ich keine Möglichkeit hatte zum konsumieren, sich mein permanenter innerer Stress legen konnte und ich somit auch keine Bauchschmerzen hatte. Sobald ich wieder zuhause war, ging es von vorne los.

Leider hat niemand gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich war nicht introvertiert, hatte viele Freunde, engagierte mich z.B. als Schülersprecher und meine Leistungen in der Schule waren immer gut bis sehr gut. Meine schnelle Auffassungsgabe waren hier Fluch und Segen gleichzeitig: die Schule fiel mir überhaupt nicht schwer, ich konnte mit wenig Aufwand viel erreichen - und hatte genug Kapazitäten, um mir das Hirn rauszuwixxen, ohne dass sich das in einem Leistungsabfall geäußert hätte.
Einzig mit den Mädels hat es nicht so geklappt. Ich hatte zwar viele kumpelhafte Freundinnen, aber richtig viel ging nie. Ich weiß nicht, inwieweit damals auch ein PMO-induzierter Mangel an Selbstbewusstsein eine Rolle gespielt hat (den ich zweifelsohne über die Jahre extrem ausgebildet habe).
Mein erstes Mal hatte ich dann erst mit 18, während der Abizeit. Mit diesem Mädchen bin ich dann auch zusammengekommen, leider hat sich das zu einer sehr manipulativen (ihrerseits) Beziehung entwickelt. Ich war ihr körperlich und emotional völlig erlegen, sie konnte mich im Grunde behandeln wie sie wollte. Hinzu kam, dass wir in dieser Zeit extrem viel gekifft haben, und für mich waren natürlich auch die Pornos noch ein Dauerbrenner. Irgendwann stand ich dann kurz vor einer Psychose und habe immerhin das Kiffen aufgegeben und nach 2 Jahren (viel zu spät) auch endlich die Beziehung beendet, was mich ein bisschen gefestigt hat. Aber dennoch: die Pornos waren damals schon längst fester Bestandteil meines Lebens. Sie waren Mittel gegen Langeweile, zur Frustbewältigung, zur Ablenkung, zur Flucht. Heute kann ich sagen, dass ich wegen Pornos nie richtig gelernt habe, mit negativen Gefühlen umzugehen. Ich habe sie einfach überspült, bis ich komplett abgestumpft war. Von den Hunderten verschwendeten Lebensstunden wollen wir hier gar nicht reden.

Ich bin dann über die Jahre auch viel rumgekommen, habe dieses und jenes ausprobiert, ein aufregendes, aber wenig konstantes Leben, das immer gut mit PMO vereinbar war. Dass ich ein Problem habe, war mir immer bewusst. Ich habe unzählige Male versucht, aufzuhören, aber immer vergeblich. Und je länger das ging, desto mehr habe ich mich geschämt und desto ferner lag es mir, mit jemandem darüber zu reden.

Bis vor ein paar Wochen, als mir die ganze Tragweite des Problems bewusst wurde. Ich stehe mittlerweile im letzten Abschnitt meines Studiums und habe seit knapp 2 Jahren eine wunderbare Freundin, mit der es so langsam um Zukunftspläne geht, mit zusammenziehen usw. Ich bin den einen Tag total euphorisch und den nächsten Tag will ich sie am liebsten sofort verlassen. Ich habe gemerkt, was für ein emotionales Wrack ich bin und unter was für extremen Stimmungsschwankungen ich leide, was für mein Umfeld und insbesondere für meine Freundin natürlich auch nicht sehr toll ist. Nach ein wenig Recherche setzte sich dann ein Puzzleteil zum anderen: all das, meine Gefühlslosigkeit, meine Stimmungsschwankungen, meine nahezu depressiven Phasen, mein Nicht-Festlegen-Wollen, mein Weglaufen-Wollen, all das muss mit meiner Sucht zusammenhängen. Und glaubt mir, das war kein schöner Moment, als ich das erkannt habe. Im Grunde ist mein Leben, das ich seit Beginn der Pubertät führe, ein sehr wackeliges Gebäude, das jederzeit einzustürzen droht. Ich bin froh, das erkannt zu haben, und endlich, endlich die Sucht ernsthaft anzugehen. Ich habe auch meiner Freundin davon erzählt und sie hat sehr verständnisvoll reagiert und will mir Zeit geben. Wie lange ein Reboot nach einer so langen Abhängigkeit dauert, weiß ich natürlich nicht.

Zu meiner aktuellen Situation: Ich bin heute bei Tag 24 ohne PMO (habe eine App auf dem Handy). Der extreme Suchtdruck hat schon nachgelassen, aber ich habe enorme Ups und Downs. Hinzu kommt eine unfassbare Müdigkeit. Obwohl ich am Wochenende viel geschlafen habe, bin ich heute (Montag) nicht vor 10:30 Uhr aus dem Bett gekommen. In meiner Vorlesung am Nachmittag bin ich permanent fast eingeschlafen, zurück zuhause habe ich auch erstmal 1,5 Stunden gepennt. Ich habe enorme Konzentrationsprobleme und weiß nicht, wie ich die anstehende Prüfungsphase überstehen soll, ohne PMO als Entlastungsventil. Aber ich bin mittlerweile so weit, dass ich das Besiegen der Sucht höher priorisiere als die Prüfungen, heißt, wenn ich eine wiederholen muss, ist das auch kein Weltuntergang. Hauptsache, ich falle nicht zurück.
Durch meine Recherche und das Lesen der Beiträge hier, weiß ich, dass bloßes Aufhören nicht reicht. Deshalb habe ich mir eine kleine Reboot-Liste gemacht (Sport, Wohnung aufräumen u. umstrukturieren, kein Handy und Laptop im Bett, Lesen, ...). Außerdem war ich bei der psychosozialen Beratung meiner Uni und die haben mir empfohlen, nach einem Therapieplatz zu suchen. Das habe ich in Angriff genommen und habe nächste Woche mein erstes Vorgespräch.

Ich bin so froh, das Problem endlich bei der Wurzel zu packen. Dieses Forum hat mir bisher auch schon durchs reine Mitlesen sehr geholfen. Ich wünsche allen anderen viel Erfolg und Durchhaltevermögen!

Liebe Grüße,
Steve
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Mein langer Weg - von SteveHarrington - 01.07.2019, 17:31
RE: Mein langer Weg - von SteveHarrington - 08.07.2019, 15:54
RE: Mein langer Weg - von Bambus_123 - 08.07.2019, 18:59
RE: Mein langer Weg - von SteveHarrington - 09.07.2019, 19:05
RE: Mein langer Weg - von SteveHarrington - 12.07.2019, 17:36
RE: Mein langer Weg - von SteveHarrington - 16.07.2019, 20:21
RE: Mein langer Weg - von Horst - 16.07.2019, 21:30
RE: Mein langer Weg - von SteveHarrington - 21.07.2019, 13:57
RE: Mein langer Weg - von SteveHarrington - 22.12.2019, 10:49



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